Veröffentlicht im Echinger Forum, Ausgabe 02/2022
Geehrte Bürgerinnen und Bürger der Gemeinde,
tatsächlich haben wir wenig Grund, über die Politik zu klagen. Als Wähler unterstützen wir regelmäßig dieses oder jenes Programm. Parteien dürften es wiederum wertschätzen, wenn Leute eintreten und aktiv werden. Zumindest fallweise können wir über Sachfragen selbst abstimmen.
Doch alle sind irgendwie unzufrieden. Der Glaube an das Gute wird dauernd auf die Probe gestellt. Wer mit seiner Stimme das geringste Übel stützt, zementiert es. Wer mit ihr seinem Ärger Luft verschafft, bekommt sie; und zwar in heißer Form. Die Gefahr, dass wir die Demokratie wieder verspielen, ist real. 1789 begann mit Rufen nach Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit für die Franzosen eine neue Epoche. Uns heutigen wäre damit gedient, sich gelegentlich dieser Ideale zu besinnen.
Meinem Empfinden nach kümmert in unserem Gemeinderat schon die FREIHEIT der Rede vor sich hin. Eine Hälfte spricht so gut wie nie. Die Sprechenden dagegen kehren gerne ihre Erfahrenheit hervor. Diese dürfte eher im Wege zu sein, sobald es um Neues geht. Manchmal ehrenwert, manchmal verbissen, ringt man um Regularien. Als gebe es der Gesetze, Verordnungen und Satzungen nicht genug, bedarf es noch Stellungnahmen, Studien oder Gutachten, ehe man sich darauf berufen kann.
Den zugehörigen Diskussionen kann man als Uneigeweihter häufig nicht mehr folgen. Dass die Verwaltung bei jeder Stellungnahme zu einem Antrag eine von ihr formulierte Beschlussempfehlung einbringt, verunklärt letztlich, was entschieden werden soll. Inakzeptabel ist es, wenn der Gegenstand des Antrags in solchen Empfehlungen an Arbeitsgruppen oder andere Stellen verwiesen wird. Denn dies geschieht in der Regel ohne Zieltermin. Mithin muss jede Äußerung interpretiert und alles zwischen den Zeilen gelesen werden. Bei formaler GLEICHHEIT bleibt festzustellen, dass es auf Gleichere und unter den Gleichen ankommt.
Den Gemeinderäten erträglicher macht die Bewegung in einem weitgehend abgesteckten Parcours das Zuckerl zwischendurch. Es kommt aus der wunderbaren Welt der Förderungen. Wer von irgendeinem Geldtopf auf Landes- oder Bundesebene zu berichten weiß, dem gehört die Aufmerksamkeit. Ungeachtet schwächelnder Argumente werden Vorschläge unterstützt. Gewisser "Mitnahmeeffekte" ist sich der Gemeinderat keineswegs bewusst. Dieses böse Wort fällt vielleicht, wenn es um kommunales Geld und die eigenen Bürger geht. Dass hinter Fördermitteln genauso Steuern stehen, bleibt in der Regel unerwähnt.
Immerhin die BRÜDERLICHKEIT wird gepflegt, und zwar in den jeweiligen "politischen Lagern". Weil dessen Anerkennung zählt, verschreibt man sich eher ihm als dem großen Ganzen. Also wird bei allem, was von außen kommt, überlegt, was zu entgegnen sei. Auf entsprechend seltsame Vorbehalte stieß ein Antrag mit dem Ziel, die der Gemeinde für den Rechtsstreit um den Thaler-See-Vorfall entstandenden Kosten konkret festzustellen. Sogar einem Vorschlag, sich diese Kosten zurückzuholen, blieb jüngst die einhellige Unterstützung versagt. Nichts kann bemänteln, dass Richtiges nicht recht sein kann, wenn es von der falschen Seite kommt.
Ein Gemeinderat, der in der umrissenen Art und Weise "funktioniert" ist ein in sich gefangener. In mir weckt er neben Mitleid auch Ärger, weil er es Außenstehenden verleiden kann, sich politisch zu betätigen.
Markus Hiereth