Langfassung eines Beitrags im Echinger Forum, 11/2021
Im Frühjahr 2014 beschäftigte ich mich erstmals eingehend mit dem hiesigen Nahverkehrsangebot. Dabei fiel mir an der Bushaltestelle Ottenburg ein Blatt auf, demzufolge man ein "Anruflinientaxi" bestellen könne. Für Werktage gab es zwei Zeiten, zu denen man nach Eching und zwei, zu denen man wieder zurück kommen konnte. Darunter eine Telefonnummer, unter der sich niemand meldete. Es war scheinbar ein Überbleibsel eines gescheiterten und bei der Gemeinde wie auch beim MVV vergessenen Betriebsversuchs.
Abgesehen davon, dass das Blatt bald darauf verschwand, geht es an der Haltestelle Ottenburg heute so beschaulich wie damals zu. Allerdings ist der öffentliche Nahverkehr wieder ein kommunalpolitisches Thema. Er soll verbessert werden - und ja, Mobilfunknetze und Datenverarbeitung eröffnen neue Möglichkeiten. Der MVV und der Freisinger Kreistag wollen es (frühestens Ende 2022) mit einer neuen Art Ruftaxi versuchen. Das Konzept dahinter bezeichnet das Wort "Flächenbedarfsverkehr" am besten; im Gegensatz dazu stünde der "Linienbedarfsverkehr". Auch einige Gemeinderäte zeigen sich angetan und wünschten eine Machbarkeitsstudie dazu.
Neudeutsch "on demand", also auf Anforderung mittels Smartphone-App, werden bei dieser Art Ruftaxi Personen innerhalb eines Bediengebietes von einem Ort zu einen anderen gebracht. Es gibt weder Linien noch einen Fahrplan. Die Wege der Fahrzeuge richten sich allein nach den jeweils vorliegenden Buchungen. Auf den ersten Blick ein feiner Ansatz. Doch wieviel Energie lässt sich damit einsparen? Welche Transportleistung wird pro eingesetztem Euro öffentlichen Geldes erbracht? Wieviel Freiheit gewinnen Nutzerinnen und Nutzer im Vergleich zum etablierten öffentlichen Nahverkehr?
Die Ausgangssituation in der Gemeinde ist zwiegespalten: In Eching selbst lässt sich vieles zu Fuß oder per Rad erledigen. Ansonsten bringen einen zunächst die S-Bahn und anschließend weitere Verbund-Verkehrsmittel ans Ziel. Demgegenüber fühlt man sich, wohin es auch gehen soll, in Ottenburg und Deutenhausen wie ein Gestrandeter. Für Fahrten in den Ballungsraum München bräuchte es einen Zubringer zur S-Bahn. Dabei zählt nicht, ob dieser jederzeit verfügbar ist, sondern, ob der Anschluss an die S-Bahn klappt. Soll es dagegen irgendwohin in den Landkreis gehen, bringt ein Echinger Ruftaxi nichts, weil es nur Ziele in der Gemeinde ansteuert.
Auch auf Strecken mit hoher Nachfrage - beispielsweise zur U6 in Garching-Hochbrück - dürften die Er-Fahrungen ernüchternd sein. Heute fährt die Linie 695 jede Stunde in weniger als fünfzehn Minuten von Eching dorthin. Ist dagegen ein Flächenbedarfsverkehr eingerichtet, gilt es zunächst, die Fahrt mit vielleicht 30 Minuten Vorlauf zu buchen. Nachdem man selbst abgeholt wurde, wohnt man wahrscheinlich dem Einsammeln weiterer Fahrgäste bei. Je mehr Plätze im Fahrzeug, desto mehr ist dabei zu sehen. Erst am Ende ist geboten, was alle wollen, nämlich die Fahrt nach Garching.
In diesen Beschreibungen zeigt sich das Hauptproblem des Bedarfsverkehrs ohne Linie und Fahrplan, nämlich der Widerstreit von Individualität und Effizienz. Womöglich verstellt nicht nur der althergebrachte Überfluss ("Energie gibt es an der Zapfsäule!" und "Für was als Autos und Laster hätte man jahrzehntelang Straßen ge- und ausgebaut?") einen sachgerechten Blick auf die Mobilität. Dazu kommt neuerdings noch eine Gläubigkeit gegenüber der Digitalisierung. Personenbeförderung bleibt jedoch eine Dienstleistung in der wirklichen Welt. Allgegenwärtige Kommunikation und findige Programmierer ändern nichts daran. Es ist Aufgabe genug, den grundlegenden Bedarf zu befriedigen.
Essentielle Beiträge zur Verkehrswende müssen von der Kommunalpolitik kommen. In Städten ist dies längst selbstverständlich, doch das Land hinkt hinterher. Die Stärke öffentlicher Verkehrsmittel liegt in ihrer Leistungsfähigkeit. In einem Fahrzeug können mit wenig Energie auf geringer Verkehrsfläche viele Personen befördert werden. Ob sie diese Stärke ausspielen können, hängt von zwei Faktoren ab, nämlich Verfügbarkeit und Vernetzung.
Hier kann Digitalisierung in der Tat helfen, indem eine technisch schon etablierte, dauernde Ortung der Fahrzeuge ein "gesichertes" Umsteigen möglich macht. Dieses wiederum gewährleistet, dass öffentliche Verkehrsmittel als System ihre Fahrgäste planmäßig Kilometer um Kilometer ihren Zielen näher bringen. Demgegenüber ist es bloß eine zwiespältige Annehmlichkeit, wenn jeder einzelne dank Smartphone und App jederzeit weiß, ob sein Bus pünktlich an der Haltestelle aufkreuzen wird.
Hinsichtlich eines umfassend verfügbaren und in sich stimmigen Nahverkehrs sind andere Landkreise und Gemeinden uns um Jahre voraus. Wenn allerdings der Gemeinderat zeitnah die nötigen Entscheidungen [1] trifft, hat Eching in ein oder zwei Jahren nicht bloß an der S-Bahn-Station öffentlichen Nahverkehr, sondern es geht auch an Dutzenden von Haltestellen voran. Abstriche werden wohl noch in Zeiten schwächerer Nachfrage hinzunehmen sein.
Wie Nahverkehr nachts und an Sonntagen organisiert wird, zeigt der Landkreis Fürstenfeldbruck. Vor sechs Jahren wurden dort die Anruf-Linien-Taxis in MVV-Ruftaxis überführt.
Seither konnte man sie mit den normalen Zeitkarten und Fahrscheinen des MVV nutzen. Im 20- oder 60-Minuten-Takt bedienen die MVV-Ruftaxis alle Haltestellen des Landkreises; und zwar
Die Ruftaxis fahren keinen Linienweg ab, sondern sind auf sechs "Linienkorridoren" zwischen Fürstenfeldbruck und dem Rand des Landkreises unterwegs. Sie bedienen nur Haltestellen, an welchen jemand ein- oder aussteigen will. Buchungen sind telefonisch, per Mail und mit der MVV-App möglich.
Die Entwicklung der Fahrgastzahlen bei diesem Ruftaxi-System spricht für sich. Im Jahr 2018 gab es rund 50.000 Fahrten mit rund 100.000 Fahrgästen. Zwei Fahrgäste pro Fahrt mag bescheiden wirken. Das Wesentliche ist jedoch, dass eine permanente Verfügbarkeit des Nahverkehrs den Verzicht auf ein Auto stark unterstützt. Kunden werden gewonnen.
Wobei die Nutzerzahlen der MVV-Ruftaxis in den ersten drei Betriebsjahren den Erfolg nicht einmal komplett spiegeln. Sobald sich bei den Ruftaxen Verbindungen und Zeiten höherer Nachfrage zeigten, wurde der Linienbetrieb ausgeweitet. Dann ging der letzte Bus vielleicht nicht um 21, sondern erst um 22 Uhr. Die Ruftaxis decken also allmählich weniger Zeit ab und erbrachten trotzdem eine über die Jahre zunächst stark und dann immer noch leicht steigende Verkehrsleistung.
Überträgt man das Fürstenfeldbrucker System auf unseren Landkreis und jene nord-südliche Verkehrsachse, in der Eching liegt. würden Ruftaxis in der sogenannten "Schwachverkehrszeit" auf einem zehn Kilometer breiten Korridor entlang der Regionalbuslinie 695 alle Orte von Allershausen bis Eching mit der S1 beziehungsweise der U6 in Hochbrück verbinden. Die Mittel, die der Landkreis Fürstenfeldbruck für sein System aufwendet, ergäben, heruntergebrochen auf diese eine Ruftaxi-Linie und verteilt auf die fünf profitierenden Gemeinden Allershausen, Kranzberg, Fahrenzhausen, Neufahrn und Eching, einen niedrigen fünfstelligen Betrag pro Jahr.
Zum Erfolg bräuchte es allerdings auch verschiedene Möglichkeiten der Buchung. Wobei es den MVV nicht überfordern sollte, wenn er neben seiner Smartphone-App eine für das gesamte Verbundgebiet zuständige und rund um die Uhr erreichbare Stelle für Buchungen und Auskünfte einrichtete.
Markus Hiereth